HIM AKTUELL | Saudi-Arabien: Spionage per Social-Media
Unter Kronprinz Mohammed bin Salman soll Saudi-Arabien moderner werden. Doch seine „Vision 2030“ stärkt gleichzeitig die eigene Macht. Wichtiges Werkzeug dabei: die Social-Media-Kanäle, die der Überwachung und Verfolgung von Kritikern dienen. Sorgen bereitet Beobachtern dazu die Tatsache, dass ein saudischer Fond mit 4 Prozent größter Anteilseigner von Elon Musks Firma „X“ ist, als „Twitter“ einst wichtigste Plattform der freien Meinungsäußerung.
Seit einigen Jahren treibt Mohammed bin Salman, Kronprinz von Saudi-Arabien, im Eiltempo umfangreiche Reformen voran. Sein Land erlebt Veränderungen, die man sich vor Kurzem kaum hätte vorstellen können: Frauen dürfen allein reisen, Auto fahren, in einer eigenen Wohnung leben – alles ohne Zustimmung eines männlichen Vormundes. Auch der weitreichende Einfluss der religiösen Strukturen wurde stark eingeschränkt: die ehemals sehr mächtige Religionspolizei patrouilliert nicht mehr auf den Straßen und bereits seit Mai 2021 gibt es eine Verfügung, die Lautstärke der Gebetsrufe der Moscheen auf ein Drittel zu reduzieren. Das Zensurverfahren für importierte Literatur – lange eines der strengsten der gesamten Region – wurde reformiert, was den Zugang zu Büchern und Zeitschriften deutlich erleichterte. Auch das über Jahrzehnte lang geltende Verbot von Kinos wurde aufgehoben und die allgemeine Geschlechtertrennung schrittweise gelockert.
Der Kronprinz folgt damit seiner ‚Vision 2030‘, die er bereits im Jahr 2016 vorstellte. Danach soll sein Land durch sozioökonomische Reformen moderner, wirtschaftlicher und liberaler werden. Große Zustimmung erfährt er dafür von der sehr jungen Bevölkerung des Landes – über die Hälfte der saudischen Bürger und Bürgerinnen sind unter 35 Jahre alt.
Dennoch sehen viele Beobachter die Entwicklungen kritisch. Auch wenn einige dieser Reformansätze im täglichen Leben spürbar seien, so gäbe es de-facto keine strukturellen Veränderungen. Im Gegenteil: Die Einschränkung der religiösen Eliten sowie die Umstrukturierungen in Ämtern, Kommissionen und im Beamtenapparat führen zu einer Machtkonzentration zu Gunsten der saudischen Königsfamilie und damit zu einer weiterhin sehr kritischen Menschenrechtssituation. Gegner der Königsfamilie, des Regimes oder der Reformen werden über Social-Media-Plattformen ausfindig gemacht, verfolgt und mit teils drakonischen Strafen belegt.
Im vergangenen Jahr verurteilten Gerichte zwei Frauen zu Höchststrafen, weil sie sich regimekritisch auf der Plattform X (ehemals Twitter) äußerten. 34 bzw. 45 Jahre müssen die beiden Aktivistinnen ins Gefängnis – mit die höchsten Strafen, die jemals verhängt wurden. Viel wurde darüber spekuliert, warum das saudische Regime ausgerechnet diese beiden Frauen verfolgte. Die eine lebte in Großbritannien, die andere benutzte einen anonymen Account. Beide hatten eine vergleichsweise geringe Reichweite ihrer Profile.
Bekannt ist, dass offenbar bereits 2014 und 2015 saudische Agenten gezielt als Mitarbeiter bei Twitter eingeschleust wurden, um Nutzerdaten, Klarnamen und vertrauliche Informationen auszuspionieren. Opfer dieser Spionage wurde vermutlich unter anderem ein Mitarbeiter der Hilfsorganisation Roter Halbmond. Er hatte in Kalifornien gelebt und satirische Beiträge über das Regime bei Twitter veröffentlicht. Nach seiner Rückkehr nach Saudi-Arabien wurde er verhaftet und laut seiner Schwester schwer gefoltert. Seit 2021 erreichte die Familie kein Lebenszeichen mehr von ihm. Das US-Justizministerium hat gegen die saudischen Spione ermittelt und einige von ihnen im vergangenen Jahr angeklagt. Das Unternehmen Twitter behauptete, von diesen Spionageaktionen nichts bemerkt zu haben. Nun heißt ‚Twitter‘ ‚X‘, weil Elon Musk das Unternehmen gekauft hat. Um, wie er sagt, die Meinungsfreiheit zu stärken. Mit Abstand größter Anteilseigner bei X ist ausgerechnet die Kingdom Holding, einer der größten Fonds Saudi-Arabiens. Sie besitzt knapp vier Prozent aller Anteile, was etwa 1,9 Milliarden US-Dollar entspricht. Die Plattform, die für viele Aktivisten*innen lange Zeit nahezu die einzige Möglichkeit war, ihre Ansichten zu teilen, ist zur lebensbedrohlichen Gefahr geworden. Wer die Herrscherfamilie in Social-Media-Kanälen kritisiert, riskiert Unterdrückung und Verfolgung.
Auch im Landesinneren setzt das Königshaus auf Überwachung durch Social-Media. Eine App der Regierung, ‚Kollam Amn‘ (‚Wir sind in Sicherheit‘), wurde mehr als eine Millionen Mal heruntergeladen und lädt Nutzer dazu ein, „falsche und böswillige Gerüchte“ zu melden. So wird dargestellt und beschrieben, dass es eine nationale Pflicht sei, gegen Andersdenke vorzugehen. Das Motto: „Der Bürger ist der erste Sicherheitsmann“. Diese recht neue Form der Überwachung wird als ‚Community Policing‘ bezeichnet, also eine Zusammenarbeit zwischen Behörden und der Bevölkerung. Verurteilt werden Nutzer auf Grundlage vage formulierter Anti-Terror oder Anti-Cybercrime-Gesetze.
Im Fall von X (Twitter) werden im US-Senat Stimmen laut, die eine Überprüfung der zuständigen Behörde für ausländische Investitionen in den USA (CFIUS) für angemessen halten. Denn auch wenn sich aus unter fünf Prozent Anteilen kein direkter Einfluss auf die Firmenpolitik ergibt, so pflegt Elon Musk nicht nur nach Saudi-Arabien gute Kontakte – auch Katar und Dubai sind an X beteiligt. Inzwischen wurde eine Zivilklage gegen das Unternehmen X und das saudische Königshaus eingereicht. Sie wirft insbesondere X vor, von den bekanntgewordenen Spionagefällen nicht nur gewusst, sondern mit dem Regime sogar kooperiert zu haben – im Austausch für finanzielle Unterstützung. Bislang sind sämtliche Klagen in diesem Zusammenhang vor den US-Gerichten gescheitert. Nun will die zuständige Anwältin Beweise vorlegen können. Sie sieht die Vorgänge bei X nicht nur als Gefahr für saudische Nutzer, sondern für alle Nutzer weltweit.
Mehr zu dem Thema:
https://www.bbc.com/news/blogs-trending-25864558
https://www.sueddeutsche.de/politik/saudi-arabien-twitter-kritikerinnen-gefaengnis-1.5654246
https://www.zeit.de/2023/38/saudi-arabien-x-twitter-elon-musk/seite-3
https://www.fr.de/politik/saudi-arabien-elon-musk-twitter-beteiligung-deal-usa-news-91889153.html